Stellungnahme zum SBGG Referentenentwurf
Am 09.05.2023 hat das Bundesministerium für Justiz den gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erarbeiteten Referentenentwurf für das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, kurz SBGG und auch bekannt als Selbstbestimmungsgesetz, veröffentlicht. Dieser Gesetzesentwurf ist ein wichtiger und lange überfälliger Schritt zum Abbau menschenrechtsverletzender Behandlungen von trans*, inter* und nicht-binären (TIN*) Personen. Die Ampel-Koalition ist damit die erste Bundesregierung, die sich der lange geforderten Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) annimmt und einen entscheidenden Schritt zur Entpathologisierung von trans*, inter* und nicht-binären Personen geht.
Der Entwurf sieht vor, jegliche Pflichten für Gutachten und Atteste, wie sie bislang durch TSG und § 45b Personenstandsgesetz (PStG) gefordert wurden, ersatzlos zu streichen, um eine Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen zu erwirken. Damit folgt die Bundesregierung nicht nur den Forderungen von TIN* Communities und Verbänden, sondern auch Entwicklungen in Wissenschaft und Medizin.
Neben der Entpathologisierung, die durch diesen Referentenentwurf vorangetrieben wird, lässt sich positiv hervorheben, dass der verfassungsrechtliche Schutz der Geschlechtsidentität weiter anerkannt wird. Daneben wird die Unterscheidung von Verfahren für trans* und inter* Personen aufgehoben. Nicht-binäre Personen werden zudem erstmals in ihren Bedürfnissen zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen explizit wahrgenommen. Das SBGG schafft damit endlich eine explizite Anerkennung und Lösung für nicht-binäre Personen, die bislang durch das System fielen.
Ebenfalls positiv ist, dass das SBGG mit Artikel 1, §12 rechtlich festhält, dass sich binär formulierte Gesetze, die in ihrer Auswirkung keine Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern vorsehen, auch Menschen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Eintrag divers berücksichtigen.
Der aktuelle Entwurf enthält im Vergleich zu den im Juni 2022 vorgestellten Eckpunkten einige Rückschritte. Zurückzuführen ist dies auf die vorangegangenen, von trans*feindlichen Akteur*innen geführten, öffentlichen Debatten. Die Landesfachstelle Trans* und Landeskoordination Inter* vom Queeren Netzwerk Niedersachsen sehen Kritikpunkte im vorgestellten Referentenentwurf, welche die Selbstbestimmung von trans*, inter* und nicht-binären Menschen weiterhin einschränken. Uns ist wichtig den Entwurf konstruktiv zu kritisieren, ohne gleichzeitig für einen Verwurf zu plädieren. Denn klar ist, wenn dieses Gesetzesvorhaben verworfen wird, ist unsicher, wie die Chancen auf eine Abschaffung des TSGs und eine Entpathologisierung von § 45b PStG in der nahen Zukunft stehen.
Zentrale Kritikpunkte sind insbesondere die Regelungen für Minderjährige, die angeführten Ausnahmefälle und Restriktionen, Dienstpflichten im Verteidigungsfall, der Verweis auf das Hausrecht, sowie das geplante Offenbarungsverbot.
Im vorliegenden Entwurf verbessert sich die Situation für Minderjährige nicht. Nach wie vor sind Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren bei der Änderung ihres Vornamens und/oder Personenstandes auf die Einwilligung ihrer Sorgeberechtigten angewiesen (§3). Werden Jugendliche nicht von diesen unterstützt, kann ein Familiengericht hinzugezogen werden. Diese Regelung fördert nicht nur das Machtgefälle zwischen Jugendlichen und ihren Sorgeberechtigten, sie ist auch mit Hürden verbunden und damit für junge TIN* Personen schwer durchzusetzen.
Der Gesetzentwurf ist darauf bedacht, den öffentlich immer wieder befürchteten Missbrauch des Gesetzes zu erschweren So legt der Referentenentwurf fest, dass die Änderung von Personenstand und Vornamen erst nach Ablauf einer dreimonatigen Frist in Kraft treten. Der Zeitraum von drei Monaten ist hierbei scheinbar nicht an anderweitig übliche Fristen angelehnt, sondern willkürlich bestimmt. Zusätzlich sieht das Gesetz eine einjährige Sperrfrist für die erneute Änderung vor. Für intergeschlechtlich geborene Menschen stellt der Entwurf in Hinsicht auf die Wartezeit und die Sperrfrist eine massive Verschlechterung im Vergleich zur bisherigen Regelung dar. Der § 45b Personenstandsgesetz (PStG), nach welchem die Änderung sofort in Kraft tritt, entfällt mit dem Selbstbestimmungsgesetz. Nach diesem müssen inter* Personen zwar ein ärztliches Attest vorlegen, eine Sperrfrist oder Wartezeiten enthält das Gesetz jedoch nicht.
Standesbeamt*innen erhalten durch eine weitere Ausnahmeregelung einen großen Entscheidungsspielraum, welcher zu erneuter Fremdbestimmung führen kann. So kann die Eintragung der Erklärung von Standesbeamt*innen abgelehnt werden, wenn ein „offensichtlicher Missbrauch“ vorliegt. In der Vergangenheit wurden mehrfach Änderungen nach dem § 45b PStG trotz des Vorliegens aller notwendigen Dokumente nicht nachvollziehbar abgelehnt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen müssen sämtliche Möglichkeiten der Willkür verhindert werden.
Ein weitere Kritikpunkt liegt bei der Regelung zur Änderung von männlichen Geschlechtseinträgen im Spannungs- und Verteidigungsfall vor. Hier ist nicht klar geregelt, ob die zwei Monatsfrist ab Abgabe der persönlichen Erklärung gilt oder erst nach dem Wirksamwerden mit der dreimonatigen Frist.
Die Gesetzesbegründung betont, dass aus anderen Ländern, die ähnliche Gesetze verabschiedet haben, keine Missbrauchsfälle bekannt sind. Hier entsteht eine Diskrepanz zwischen Datenlage und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Die Einflussnahme queerfeindlicher Diskurse zeigt sich vor allem in der Betonung bestehenden Rechts. Während die Einbringung des Hausrechts in der Gesetzesbegründung angebracht ist, ist ihr Verweis im Gesetzestext unter §6 (2) mehr als beunruhigend. Statt vorauszusetzen, dass Hausrecht und AGG durch das SBGG unberührt bleiben, liest sich der Satz als Aufforderung das Hausrecht gegen (vermeintliche) TIN* Personen durchzusetzen und Ausschlüsse zu fördern. Damit befeuert der Entwurf Vorurteile gegenüber TIN* Personen und trägt zur systematischen Diskriminierung bei, anstatt diese abzubauen.
Während generell positiv hervorzuheben ist, dass das Offenbarungsverbot auch rückwirkend auf TSG und § 45b PStG bußgeldbewährt ist, bleibt fraglich, wie praktikabel die Umsetzung ist. Um den Anspruch geltend zu machen, muss das Verwenden alter Vornamen und Anreden als schädlich befunden und gleichzeitig nachgewiesen werden. Des Weiteren formuliert der Gesetzestext Ausnahmen für das Offenbarungsverbot für Kinder und Ehepartner*innen, die nach der Änderung von Geschlechtseintrag und/oder Vornamen in ein familiäres Verhältnis mit der entsprechenden Person gekommen sind. Hier wird die Möglichkeit geschaffen das selbstbestimmte Coming Out gegenüber Kindern und Ehepartner*innen rechtlich zu umgehen. Auch in familiären Nahbeziehungen sollte es immer der jeweiligen Person offenstehen, ob sie ihren bei Geburt gegebenen Personenstand und Vornamen teilen möchte.
Ein weiterer Kritikpunkt liegt in den Regelungen zur Elternschaft. Die Fortschreibung der im TSG festgeschriebenen Handhabe, dass trans* Eltern mit falschen Namen und Personenstand in der Geburtsurkunde vermerkt werden, wurde im Entwurf übernommen. Aufgrund der geplanten Reformierung des Abstammungsrechts handelt es sich hierbei nur um eine Übergangslösung. Diese bietet immerhin erste Erleichterungen für TIN* Elternteile, indem sie sich als Elternteil anstatt Mutter oder Vater eintragen lassen können. Diese Interimslösung stellt trotzdem keine vollumfängliche rechtliche Anerkennung dar.
Zentrale Punkte ergeben sich für das Land Niedersachsen aus dem Referentenentwurf in Bezug auf Beratungsstrukturen, Regelungen im schulischen Kontext und Haftbedingungen.
Aufgrund der wegfallenden Begutachtungspraxis bedeutet dieser Entwurf vor allem eine Entlastung der ohnehin strapazierten Versorgungsstruktur in Psychotherapie und Psychiatrie. Somit werden voraussichtlich Ressourcen zur Ermöglichung medizinischer Transitionen frei. Da insbesondere viele Jugendliche und deren sorgeberechtigten Personen Entscheidungen nicht ohne Unterstützung treffen, ist gleichzeitig von vermehrten Anfragen an Beratungsangeboten und Peerberatungen zu rechnen. Die bereits jetzt notwendige Verbesserung der Förderstrukturen für Beratungsstellen in Niedersachsen wird durch das geplante Vorhaben entsprechend verstärkt. Die Bundesregierung beabsichtigt Beratungsangebote weiter auszubauen, jedoch fehlt es im Gesetzentwurf an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung.
Besonders in Bezug auf Niedersachsen, wo es weiterhin an einer Regelung bzgl. der Änderung von Vornamen und Geschlecht in Schulakten und Zeugnissen ohne eine rechtliche Änderung dieser Angaben fehlt, ist auch der §6 (1) kritisch zu sehen. Dieser legt fest, dass aktueller Vornamen und Geschlechtseintrag im Rechtsverkehr maßgeblich sind. Handlungsspielräume, die bisher wohlwollend im Sinne der Schüler*innen genutzt werden konnten, werden dadurch geschlossen. Entsprechend ist es zentral, dass das niedersächsische Kultusministerium zeitnah eine Regelung diesbezüglich, ähnlich bspw. der Mitteilung der Senatorin für Kinder in Bildung in Bremen, erlässt.
Unklar bleibt auch, wie in der Praxis der Umgang mit Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft und die Zuschreibung von Geschlecht bei der Geburt aussehen werden. Da Justizvollzugsanstalten den Ländern unterstehen, sind die Auswirkungen auf Haftbedingungen zurzeit noch unklar.
Während sich also in Teilen der Einfluss rechter und queerfeindlicher Diskurse aufden Referentenentwurf herauslesen lässt, ist es im Kern ein zentraler und überfälliger Schritt zur Verbesserung der Situation von TIN* Personen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Landeskoordination Inter* und die Landesfachstelle Trans* des Queeren Netzwerk Niedersachsens sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen.